Karl Weigl: Kurzer Lebenslauf
Juliane Brand

Der österreich-amerikanische Komponist Karl Weigl, geboren 6. Februar 1881 in Wien, wuchs in einer kunstfreudigen, bürgerlichen, assimiliert-jüdischen Familie auf. Bereits in jungen Jahren zeigte sich sein musikalisches Talent und so erhielt er ab 1896 Privatunterricht bei dem Familienfreund Alexander Zemlinsky. Nach der 1899 absolvierten Matura inskribierte er sowohl an der Universität Wien als auch am damaligen Conservatorium für Musik und darstellende Kunst der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien (später k.k. Akademie für Musik und darstellende Kunst), wo er die Hauptfächer Klavier bei Anton Door und Komposition bei Robert Fuchs belegte. Zum Abgang vom Conservatorium im Jahr 1902 erhielt er die Silber-Medaille für Komposition. Im Mai 1903 promovierte er bei Guido Adler mit einer Arbeit über Emanuel Aloys Förster.

Auf Anregung Guido Adlers wurde Weigl Mai 1904 vom damaligen Direktor Gustav Mahler als Solokorrepetitor an die Wiener Hofoper engagiert, eine Stelle, die er bis Ende April 1906 innehatte. In einem auf Englisch herausgegebenen Artikel über Gustav Mahler schrieb er später: „Heute noch sind mir die Jahre, in denen ich unter Mahler arbeitete, die lehrhaftesten meines Lebens“ („Even today, I consider the years I worked under Mahler as the most instructive period of my life“; dieser Satz fehlt in der ebenfalls herausgegebenen und ursprünglich deutschen Fassung des Artikels). Aus dieser frühen Zeit stammen das 3. Streichquartett (Arnold Schoenberg schreib begeistert davon an seinen Schwager Arnold Rosé), das Streichsextett (1907 mit Mahlers Befürwortung vom erweiterten Rosé-Quartett uraufgeführt), das 3. Streichquartett (1910 von der Gesellschaft der Musikfreunde mit dem Beethoven-Preis ausgezeichnet) und die 1. Symphonie, deren Uraufführung beim ADMV-Tonkünstlerfest 1910 Weigl zum ersten mal außerhalb Wiens bekannt machte. Bereits im Frühling 1910 hatte die Universal Edition dem jungen Komponisten einen Generalvertrag angeboten.

Weigl knüpfte in diesen frühen Jahren wertvolle Kontakte, u. a. mit Artur Bodanzky, Adolf Busch und Rudolf Stephan Hoffmann; 1904–1905 beteiligte er sich in der kurze Zeit bestehenden, von Zemlinsky und Arnold Schoenberg gegründeten Vereinigung schaffender Tonkünstler. Eine der anregendsten musikalischen Beziehungen, und eine mit dauerhafter Auswirkung auf sein persönliches Leben, war die mit der Sängerin Elsa Pazeller, die sich als leidenschaftliche Interpretin zeitgenössischer Musik einen Namen machte und mit Weigl in diesen Jahren oft in Liederabenden auftrat. 1910 heirateten sie; ein Jahr später wurde die Tochter Maria geboren. Die Ehe wurde Oktober 1913 geschieden, doch blieb Weigls Kontakt, besonders zu der Tochter, von tiefer, lebenslanger Bedeutung.

Wegen Kurzsichtigkeit für Frontdienst untauglich gefunden, beschränkte sich Weigls Kriegsbeteiligung im Ersten Weltkrieg auf Bürodienste in Wien, Karlovac, und Zagreb, die ihn jedoch während dieser Jahre größtenteils von der Musik fern hielten. In dem „Pro Defunctis“ betitelten, den Kriegsgefallenen gewidmeten dritten Satz der 1919–1922 komponierten 2. Symphonie gab er seinem Unbehagen über den Krieg prägnanten Ausdruck.

1918 erhielt Weigl eine Lehrstelle für Kontrapunkt und Komposition am Neuen Wiener Konservatorium. 1928 kam die Ehrenernennung zum Professor. Bereits ab1925 jedoch konnte er die freischaffende Laufbahn einschlagen und von Aufführungstantiemen und Privatunterricht leben―was auch zu der Zeit nur Wenigen erlaubt war. Nebst Privatunterricht übernahm er in den Dreißiger Jahren auch Seminare am musikwissenschaftlichen Institut der Universität Wien und Sommer-Musikkurse für Ausländer in Salzburg. Seit 1925 war indes das Komponieren seine Hauptbeschäftigung. Er galt als technisch meisterhafter, die Tradition Johannes Brahms’ weiterführender Komponist und allmählich, überdies auch als Einzelgänger, der unbeirrt von herrschender musikalischer Mode seinen eigenen Weg ging. Seine Werke wurden nicht nur von der Universal Edition verlegt, sondern auch u. a von Schott und Edition Strache. Namhafte Dirigenten―darunter Ferdinand Löwe, Franz Nedbal, Franz Schreker, Robert Schulz-Dornburg, Wilhelm Furtwängler, Robert Heger und George Szell―nahmen sich der symphonischen Werke an; die Rosé-, Kolbe-, Gottesmann-, Havemann-, Busch- und Sedlak-Winkler-Streichquartette führten die Kammermusik auf; Ignaz Friedman brachte die Uraufführung seines Klavierkonzertes; bekannte Sänger wie Hanna Schwarz und Elisabeth Schumann sangen seine Lieder.

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Auch im persönlichen Bereich gab es in Weigls Leben während dieser Jahre Grund zur Befriedigung. 1921 heiratete er in zweiter Ehe seine einstige Schülerin Valerie (Vally) Pick; 1926 wurde der Sohn Wolfgang Johannes (nach Mozart und Goethe genannt) geboren. Sommerferien wurden gemeinsam mit der Tochter Maria, manchmal auch mit Familienfreunden oder Schülern verbracht. Zeit zum Wandern und Skifahren gab es immer, und das tägliche Leben war von regem Musikmachen und einem geselligen Freundeskreis geprägt.

So sah es bis Januar 1933 aus. Binnen weniger Jahre nach Hitlers Machtergreifung begannen jedoch auch österreichische Komponisten wie Weigl die Auswirkungen der in Deutschland nach und nach verfügten nationalsozialistischen Zensur zu spüren. Aufführungen insbesondere von seinen größeren Orchesterwerken fanden immer seltener statt, und Verlagshäuser verloren Interesse an neuen Werken von politisch fragwürdigen Komponisten; das 1936 bei Universal herausgegebene 5. Streichquartett sollte Weigls letztes in Europa komponiertes und dort verlegtes Werk sein. Er sah sich gezwungen, zunehmend mehr zu unterrichten als zu komponieren. Ende 1937 schrieb er lakonisch in sein Tagebuch: „Zukunft dunkel“. Jedoch wurde der Entschluss, sich um die Emigration zu bemühen, erst nach Hitlers Überfall auf Österreich am 12. März 1938 gefasst―und wahrscheinlich hauptsächlich infolge energischen Zuredens Vally Weigls. Die Verhaftung von Vally Weigls Schwester Käthe Leichter im Mai 1938 wird ein weiterer starker Antrieb gewesen sein. Dass der Familie Weigl im Oktober 1938 die Flucht in die USA glückte, verdankte sie vor allem dem Internationalen Quäker-Center in Wien sowie Irena Wiley, der Frau des damaligen US-amerikanischen Generalkonsuls, dem einstigen Schüler Ernst Bacon, der befreundeten Wirtschaftshistorikerin Antonie Stolper und Ira Hirschmann, dem US-amerikanischen Geschäftsmann und leidenschaftlichen Musikenthusiasten, der vielen jüdischen Flüchtlingen das zwingend notwendige Affidavit unterschrieb und dadurch die Einreise in die USA ermöglichte.

Weigl verbrachte die letzten elf Lebensjahre als Exilant. Es waren, auch mit den Erfahrungen anderer europäischen Flüchtlingen seines Alters verglichen, harte Jahre. Trotz Empfehlungen von prominenten Kollegen und Unterstützung von Emigrantenhilfsorganisationen, bekam der damals fast sechzig-jährige Komponist anfangs nur Teilzeit- und Gelegenheitsjobs, u. a. im New York Philharmonic Society Music Training and Scholarship Program, einer Ausläufer-Organisation des New York Philharmonic Orchestra. Privatschüler gab es anfangs nur wenige, darunter für kurze Zeit Roman Totenberg, der später häufiger Weigls Violinwerke aufführte. Erst zwei Jahre nach der Einreise erhielt Weigl seine erste volle Lehrstelle an der Hartt School of Music in Hartford, Connecticut. Sowohl diese Stelle (Herbst 1940–Frühjahr 1941) als auch die am Brooklyn College (Herbst 1943–Frühjahr 1945) waren Vertretungen für im Militär dienende Lehrkräfte. 1942 wurde eine Stelle an der New York Public Library zusammengeflickt, wo er Redaktionsarbeiten unter Carleton Sprague-Smith ausführte. Die drei-jährige Verpflichtung an das Boston Conservatory (Herbst 1945–Frühling 1948) erforderte wöchentliches Pendeln zwischen New York und Boston, worunter nicht nur seine Kompositionstätigkeit, sondern auch seine Gesundheit litt. Vally Weigl unterrichtete während dieser Jahre in New York und Pennsylvania. Es gab gelegentlich auch Ermutigendes, so z. B. 1942 und 1943 zwei Einladungen in die MacDowell Künstlerkolonie (auch Vally Weigl verbrachte einige Sommer dort). Doch überwogen in Weigls letzten elf Jahren die sorgenvollen Zeiten und nach Frühling 1945 befand er sich öfters in ärztlicher Behandlung. Karl and Vally Weigl kamen oft nur mühsam und mit Hilfe von außen durch. Seine Gesundheit verschlechterte sich nach und nach im letzten Lebensjahr und er starb am 11. August in New York, wenige Wochen nach Vollendung seines 8. Streichquartetts.

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Die Emigration war nicht nur in beruflicher, sondern auch in familiärer Hinsicht einschneidend für die Weigls. Der zwölfjährige Sohn Wolfi (der in Amerika bald John gerufen wurde) wurde wenige Tage nach der Ankunft zu einer Quäker-Familie in Connecticut geschickt und verbrachte die gesamte restliche Schulzeit in der Obhut von zwei weiteren Quäker-Familien in Maryland und Pennsylvania; die Eltern sahen ihn während dieser Jahre nur gelegentlich, hauptsächlich in den Sommerferien. So wuchs John Weigl als fast vollkommener Amerikaner zur Reife. Auch Weigls Tochter Maria, der es 1939 gelang mit ihrem Mann Gerhart Piers in die USA zu flüchten, lebte sich schnell im neuen Land ein. Karl und Vally Weigl, trotz ihren schwierigeren Erfahrungen, warben schon im ersten Jahr des Exils um die US-amerikanische Staatsbürgerschaft, die sie fünf Jahre später, Ende 1943, erhielten. Anders als bei manchen europäischen Flüchtlingen ist es dann auch weder Karl noch Vally Weigl in den Sinn gekommen, nach Kriegsende in die alte Heimat zurückzukehren.

Zeitlebens war das Unterrichten wichtig für Karl Weigl. Unter seinen Schülern befanden sich sowohl angehende Komponisten als auch Interpreten und Akademiker, darunter Kurt Adler, Ernst Bacon, Peter Paul Fuchs, Alfred Mann, Czeslaw Marek, Kurt Pahlen, Charles Rosen, W. K. Stanton, Daniel Sternberg und Frederic Waldman, und vorübergehend auch Hanns Eisler und Erich Wolfgang Korngold. Vor allem aber stand das eigene Schaffen immer im Mittelpunkt Weigls Leben. Obwohl es ihm nicht gelang, in den Vereinigten Staaten, weder als Komponist noch als Lehrer, ein ähnliches Ansehen zu erreichen wie es ihm in Europa gegeben war, verlor er nie den Willen zum kompositorischen Schaffen. In den elf Exil-Jahren komponierte er eine weitere Anzahl Lieder, die letzten drei seiner acht Streichquartette, Kammermusikwerke für Violine, Bratsche und Cello und mehrere größere Orchesterwerke, darunter die letzten zwei seiner insgesamt sechs Symphonien.

Weigl glaubte leidenschaftlich an die Kontinuität der mittel-europäischen musikalischen Tradition in der er aufgewachsen war, und das prägte seine Lehrästhetik und seinen kompositorischen Stil zugleich. Sein lebenslanger Freund Rudolf Stephan Hoffmann sprach von ihm als einem „Nachfahren“, der jedoch kein „Nachtreter“ gewesen sei. In seinen stärksten Werken―so z.B. in dem Klaviertrio und den 3. und 5. Streichquartetten, den Fünf Liedern für Sopran und Streichquartett und dem Violinkonzert―verbinden sich lyrische Begabung und souveränes Verständnis der formellen Architektonik mit tiefer Ausdruckskraft. Mit der Uraufführung der Fünften Symphonie in 1968 durch Leopold Stokowski, der das Werk als „außerordentlich“ (extraordinary) empfand, ist die posthume Wiederentdeckung von Karl Weigls Musik zu datieren.

Ed. note: This text is translated and adapted from the article in the online Lexikon verfolgter Musiker und Musikerinnen der NS-Zeit, http://www.lexm.uni-hamburg.de/object/lexm_lexmperson_00002688;jsessionid=611BCED1064A5CD863A818BC321B9942?wcmsID=0003.

 

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